Schloßgrabenfest: „Das Fest ist für alle, die Musik lieben – Musik kennt keine Altersgrenze“

Was macht ein Festival aus, das mitten in der Innenstadt stattfindet – ohne Campingplatz, aber mit über 100 Acts zwischen Pop, Hip-Hop und Punkrock? Vom 5. bis 8. Juni verwandelt das Schloßgrabenfest die Darmstädter Innenstadt erneut in eine riesige Open-Air-Bühne. Was 1999 als Plattform für lokale Bands begann, ist heute das größte Musikfestival Hessens. Mitten in der Organisation steckt der Veranstalter und Mitbegründer Thiemo Gutfried, ein Darmstädter durch und durch. Er kennt die Szene und weiß, worauf es ankommt, wenn eine Veranstaltung mit der Zeit gehen will, ohne sich zu verlieren.

Bild: Björn Friedrich

Das Schloßgrabenfest findet seit 1999 statt. Frank Grossmann und du haben es ins Leben gerufen. Wie ist das Festival entstanden?

Eigentlich hätten wir dieses Jahr die 27. Ausgabe gefeiert, aber wegen Corona mussten wir zwei Jahre pausieren. Also ist es jetzt die 25. – ein Jubiläum! Ende der 90er Jahre wollten wir regionalen Bands aus Darmstadt eine große Bühne bieten, auf der sie ihre eigene Musik statt Coversongs präsentieren können. Wir hatten schon früh Kontakt zur Musikszene in Darmstadt. Damals war Gitarrenmusik wie Punk und Rock angesagt. Der Trend hat sich stark gewandelt: Heute dominieren Indie-Pop, Hip-Hop, Soul und sogar Schlager. Als Newcomer spielte der Nachwuchs in kleinen dunklen Kellern und hoffte, den entscheidenden Plattendeal zu ergattern, um ganz groß rauszukommen.

Und wie hat sich das Festival im Laufe der Zeit verändert?

Schnell wurde klar: Es entstehen nicht jedes Jahr genug neue Bands aus der Region. Deshalb öffneten wir uns für Acts aus ganz Deutschland. In diesem Jahr spielen 62 Bands, 16 DJs und 26 Solokünstler:innen. Früher reichte ein Becher als Eintritt, heute gibt’s feste Tickets. Das ist nötig, um unseren Qualitätsstandard zu halten. Es zählten Bands und Instrumentalist:innen, jetzt dominieren in der Musikbranche einzelne Sänger:innen mit großer Social-Media-Reichweite. Die Songs werden teilweise im Home-Studio produziert. Ich vermisse manchmal die alte Bandkultur, aber halte gleichzeitig nichts von dem klassischen „Früher war alles besser“ – wir leben im Hier und Jetzt!

Was ist für dich das Einzigartige des Festivals?

Unsere Location! Kein Festival in Deutschland findet mitten in der Innenstadt statt. Außerdem klingt das Schloßgrabenfest jedes Jahr anders, es spiegelt den Zeitgeist wider. Wir zeigen ein breites Spektrum an Musikgenres: von Hip-Hop bis Schlager, von Indie bis Hardrock. Stell dir vor, auf einer Bühne singt Mickie Krause beim Mallorca-Special und drei Minuten entfernt spielt der Mannheimer Rapper GReeeN – Extreme, die nebeneinander funktionieren. Kulinarik ist auch ein charakteristisches Merkmal unseres Festivals. Ob man einfach nur Freunde treffen, etwas trinken und essen oder in der ersten Reihe vor der Bühne tanzen will, jede:r kann das Festival so nutzen, wie er oder sie es für sich am coolsten findet.

Bild: Björn Friedrich

Wer ist eure Zielgruppe? An wen richtet sich das Programm?

Ich finde das Thema Zielgruppe und Altersbegrenzung fast schon diskriminierend. Das Fest ist für alle, die Musik lieben, egal ob über 80 oder mit der Familie. Musik kennt keine Altersgrenze!

Wirklich für alle Musikfans? Welche Maßnahmen ergreift ihr, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten?

Zunächst möchten wir die Barriere des Eintrittspreises niedrig halten. Es gibt ein Sozialticket mit 50 Prozent Ermäßigung und über 1.000 Freikarten, zum Beispiel für Jugendzentren. Menschen mit Behinderung und ihre Begleitpersonen zahlen keinen Eintritt. Leider ist das Festivalgelände, die Innenstadt Darmstadts, nicht vollumfänglich barrierefrei. Doch wir kennzeichnen einen barrierefreien Weg vor Ort und wichtige Informationen auf der Website.

Bild: Björn Friedrich

Das Schloßgrabenfest ist das größte Musikfestival Hessens. Wie bewältigt ihr die Planung?

Mit ganz vielen jungen Menschen: Zehn feste Mitarbeitende, aber über 100 Leute während der Produktion. Der Austausch mit der jungen Generation ist uns sehr wichtig, denn so wissen wir, was und wer in der Musikszene gerade angesagt ist. Große Themen bei der Planung sind Genehmigungen, Sicherheit, Programmgestaltung und Finanzen. Die Stadt unterstützt uns finanziell nicht. Wir finanzieren uns über private Mittel und die Vermietung der Standfläche an hunderte Gastronom:innen. Trotzdem möchte ich einen großen Dank an die Stadt Darmstadt aussprechen, die sich immer weltoffen und kooperativ gezeigt hat. Darüber hinaus erfahren wir eine besondere Unterstützung durch regionale Sponsoren.

Was hat sich durch das Sponsoring verändert? Beeinflussen eure Kooperationspartner das Festivalkonzept oder die Auswahl der Künstler:innen?

Nein, unsere Sponsoren nehmen keinen Einfluss. Natürlich sorgen wir für eine gute Sichtbarkeit und eine visuelle Präsenz auf dem Gelände, aber das Programm bleibt unsere Entscheidung.

Ist Nachhaltigkeit, Klimaneutralität oder Ökologie ein Thema bei der Konzeption?

Das spielt immer eine Rolle, zudem erwarten unsere Sponsoren die Erfüllung bestimmter Auflagen. Neben einem geringeren Stromverbrauch und Mehrweg-Bechersystem achten wir auch auf den regionalen Bezug bei unseren Mitarbeitenden und Techniklieferanten.

Bild: Björn Friedrich

Wie findet die Auswahl der Musiker:innen statt?

Auf unserer Website haben wir ein Portal für Bandbewerbungen eingerichtet. Dabei ist die Nähe der Bands zu Darmstadt entscheidend. Nischen- oder Fetischmusik, deren Text oder Performance verstörend wirken, lehnen wir für unser Festival ab. Wir stehen mit allen großen Agenturen in Kontakt, die uns proaktiv Newcomer vorschlagen. Zu den Agenturen besteht ein enges Vertrauensverhältnis, jedoch liegt ihr Interesse primär im Verkauf ihres Produktes, der:die Musiker:in. Es wird gedealt, gehandelt und auch ein bisschen gepokert. Denn ob ein Musik-Act später Erfolg hat, kann mir letztlich nur mein Bauchgefühl verraten – und ja, auch die Zahlen auf Social Media. Mark Forster, Wincent Weiss, Marteria oder auch Sunrise Avenue haben wir in einem frühen Stadium ihrer Karriere gebucht und lagen richtig.

Erinnerst du dich an Konflikte mit Künstler:innen? Wenn ja, wie gehst du damit um?

Ich nenne keine Namen. Aber es kann schon mal passieren, dass man mit dem ein oder anderen Tourmanager aneinandergerät, wenn der spezielle Akazienhonig nicht aufzutreiben ist. Oder eine andere Person duldete keine braunen Möbel im Hotelzimmer. Da muss man Grenzen setzen. Gleichzeitig habe ich Verständnis. Nonstop auf Tour zu sein und das ganze Jahr aus dem Koffer zu leben, ist hart.

Was war für dich ein besonderer und emotionaler Festival-Moment?

Der 18. März 2020, der Tag der corona-bedingten Absage, hat uns den Boden unter den Füßen weggerissen. Aufgrund dieser Extremsituation habe ich für mich gelernt, mehr im Moment zu leben. Ein Highlight war auch der Bundesliga-Aufstieg von Darmstadt 98 während des Festivals. Für mich sind aber weniger einzelne Momente von Bedeutung, sondern die Gemeinschaft und Freundschaften im Team. Wir stecken unser ganzes Herzblut in das Projekt, damit es ein Erfolg wird. Ich finde es wichtig, dass wir als Gesellschaft mehr entschleunigen, nicht nur rational handeln, sondern ins Gefühl kommen. Das ist es, was ich den Menschen beim Besuch des Schloßgrabenfests ermöglichen will.

Bilder: Björn Friedrich auf der Schloßgrabenfest-Wesbite

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