Auf Jagd in der Darmstädter Dunkelheit
Ganz behutsam, einen Fuß vor den anderen. Keine hastigen Bewegungen, kein Schritt auf knackende Äste oder raschelndes Laub – so schleicht Carsten Preuss in der Dämmerung umher. Der Hobbyjäger ist von oben bis unten dunkelgrün gekleidet: Jacke, Hose und Kappe lassen ihn beinahe mit der Natur verschmelzen. Um den Hals baumelt seine Wärmebildkamera. Dazu sein Repetiergewehr, welches über seinen Schultern hängt. So begibt sich Carsten auf die Jagd nach Wildschweinen im Bessunger Laubwald bei Darmstadt.
Jagdleidenschaft liegt in der Familie
Der Wald umfasst eine Fläche von 320 Hektar, das sind ungefähr 457 Fußballfelder. So groß ist das Revier, in dem Carsten Preuss seinem Hobby nachgeht: dem Jagen. Von Beruf ist der 64-Jährige Dekanatsjugendreferent in der evangelischen Kirche. Auf die Jagd ist er durch seine Familie gekommen, schon sein Onkel und Großvater waren Jäger: „Ich hatte schon immer eine gewisse Jagdleidenschaft – das steckt einfach in mir drin. Ich bin gerne draußen in der Natur und liebe es, im Wald zu sein, um Wildtiere zu jagen.“ Dazu gehören Rehe, Füchse und Waschbären, aber vor allem Wildschweine. Carsten schießt jedoch nicht wahllos auf Tiere, sondern nur wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, beispielsweise wenn sie krank oder zu schwach sind.

Carsten hat den Wald von seinem Hochsitz aus gut im Blick.
Während sich die letzten Sonnenstrahlen ihren Weg durch die dichten Blätter bahnen, klettert Carsten mucksmäuschenstill die Leiter zu seinem Hochsitz hinauf. Ausgestattet ist der sogenannte „Palast“ mit zwei eingesessenen Bürostühlen und drei kleinen Fenstern. Aus gut zwei Metern Höhe kann der 64-Jährige beobachten, ob sich Wildtiere nähern. Nun heißt es still sein und warten. Die Sonne geht nach kurzer Zeit unter und es wird rabenschwarz. Ohne Wärmebildkamera wäre die Jagd sinnlos. Die Minuten und Stunden vergehen, ohne auch nur ein einziges Anzeichen von Wildschweinen.
Um bei der Jagd erfolgreich zu sein, brauche es ein paar Vorbereitungen, die Carsten bereits am Vortag getroffen hat. Der Jäger stellt rund um seinen Hochsitz kleine Fallen auf, um dann nachts Wildtiere so nah wie möglich anzulocken. Dazu vergräbt er Maiskörner unter der Erde. „Wildschweine könnten sogar Spürhunde am Flughafen ablösen, so gut können sie riechen. Leider sind sie aber nicht so einfach zu handhaben wie Hunde.“

Die Maiskörner sollen die Wildschweine nah an den Hochsitz bringen.
Wächter des Waldes
Seine Aufgaben als Jäger seien allerdings nicht nur die klassische Jagd, sondern auch, dass die Lebensbedingungen der Tiere im Revier verbessert werden. So richtet Carsten Wildruhezonen ein, in denen Tiere ungestört von Menschen leben sollen. Außerdem sei der Dialog mit den Menschen, die sich im Wald aufhalten, sehr bedeutend für den Jäger: „Ich mache auch so eine Art wie Öffentlichkeitsarbeit mit den Menschen hier im Wald. Ich bin immer freundlich und gehe bei Fehlverhalten gerne ins Gespräch mit den Leuten, wenn zum Beispiel Müll einfach liegen gelassen wird.”
Zwei weitere Stunden vergehen, keine Spur von Wildschweinen. Langsam überfällt Carsten die Müdigkeit, er will sich aber noch nicht ganz geschlagen geben. Leise schleicht er zu seinem geparktem Auto und macht sich auf den Weg zu einer anderen Jagdstelle: mit offenem Fenster und ohne Standlicht fährt er im Schritttempo einen holprigen Waldweg entlang. Einzig der Schein seiner rot leuchtenden Taschenlampe, die er durch das Fenster nach vorne hält, lässt Umrisse des Weges erahnen. Ansonsten ist es finster und ruhig. Ob er heute noch Wildschweine zu sehen bekommt?
Schuss in der Nacht
„Ich bin nicht auf Trophäen aus und schieße nicht auf alles, was mir vors Visier kommt“, erklärt der 64-Jährige. Er suche sich immer sorgfältig aus, welches Wildtier erlegt werden soll und habe dabei immer das Ziel, dass es dem Wald gut gehe. Wenn er aufhören würde, Wildschweine zu erlegen, dann hätte dies gravierende Folgen: „Kein Tier darf sich unbegrenzt vermehren, sonst würden die Wildschweine Krankheiten auf uns Menschen übertragen.” Zudem würde es ohne die Jagd immer häufiger zu Wildunfällen kommen, da die Waldfläche bei wachsender Wildschwein-Population einfach nicht mehr ausreichen würde. Deshalb ist Carsten auf der Jagd nach Wildschweinen, die durch einen Abschussplan auf eine bestimmte Anzahl begrenzt ist.
Quietschende Reifen. Carsten legt eine Vollbremsung ein: „Ich sehe welche, vielleicht so 20 Wildschweine, ungefähr 50 Meter vor mir!“ Leise steigt er aus dem Auto und greift nach seinem Gewehr, das im Kofferraum liegt. Mit winzigen Schritten nähert er sich den Wildschweinen, die er durch einen Wärmebildaufsatz auf dem Gewehr gut erkennen kann. Carsten bleibt stehen und beginnt zu zielen. Die Sekunden vergehen, es ist komplett still im Bessunger Laubwald. Dann ertönt ein ohrenbetäubender Knall, worauf wildes Getrampel folgt. Die Wildschweine ergreifen die Flucht. Carsten nähert sich dem Ort, an dem er das Tier getroffen hat und findet es einige Meter weiter erlegt am Boden liegend. Er habe das Wildschwein perfekt getroffen und strahlt sichtlich zufrieden: „Was für ein spannender und dann noch so erfolgreicher Abend!“