Frau, Leben, Freiheit
Ein 69-jähriger Exil-Iraner bringt 2022 die Protestbewegung „Frau, Leben, Freiheit“ nach Darmstadt – spontan, entschlossen und begleitet von einer jungen Generation, die weiterkämpft.
„Frau, Leben, Freiheit“ – der Slogan, der weltweit für den Aufstand im Iran steht, hat seinen Ursprung in der kurdischen Frauenbewegung. Auf Kurdisch heißt er „Jin, Jiyan, Azadî“. Spätestens seit dem Tod der iranischen Studentin Jina Mahsa Amini im September 2022, der durch Polizeigewalt ausgelöst wurde, ist er zum globalen Symbol für Widerstand geworden.
Vor allem junge Iraner:innen wehrten sich – auf den Straßen, in den sozialen Medien, mit Haare abschneiden, Protestaktionen und dem bewussten Ablegen des Kopftuchs. Auch in Darmstadt blieb die Bewegung nicht unbemerkt.
Farahmand, 69 Jahre alt und seit 1982 im Exil, beschloss damals, nicht länger zu schweigen. Als Pazifist hatte er seine Heimat einst verlassen, um nicht im Krieg gegen den Irak kämpfen zu müssen. Nun wollte er in Darmstadt aufklären, informieren und ein Zeichen setzen.
Er erzählte, wie es zu den ersten Protesten kam, warum ihn die Bewegung tief geprägt hat – und weshalb er trotzdem keine Hoffnung mehr auf die deutsche Politik setzt.
Wie wurde die Demonstration organisiert?
Am Freitag, den 7. Oktober 2022, beantragte ich kurzfristig telefonisch bei den Sicherheitsbehörden der Stadt eine Genehmigung für einen Infostand auf dem Luisenplatz, den ich bereits für den folgenden Samstag, den 8. Oktober geplant habe. Überraschenderweise erhielt ich eine mündliche Zusage von einer freundlichen Mitarbeiterin. Noch am selben Abend informierte ich per Telefon und WhatsApp meine Bekannten über die geplante Aktion. Ich schrieb das Flugblatt und ließ es am Samstagvormittag in einem Kopierladen vervielfältigen.
Wie verlief die Erste Demo und wie kam es zu weiteren?
Am Samstagnachmittag kamen etwa 50 Menschen zu der Info-Aktion, die von den Teilnehmer:innen mit Interesse verfolgt wurde. Als ich die Aktion gegen 19 Uhr beendete, forderten viele Teilnehmerinnen mich auf, die Aktion besser organisiert zu wiederholen. Einige der Anwesenden beauftragten mich, am Mittwoch, den 12. Oktober, eine weitere Veranstaltung unter dem Motto Stimme der politisch unterdrückten Menschen im Iran zu organisieren.
Die zweite Versammlung fand auf dem Friedensplatz statt, wo rund 200 Menschen zusammenkamen – vor allem junge Menschen, Schülerinnen und Studentinnen. So entstand die Aktionsreihe Mittwochsdemonstration, die fast zwei Jahre lang andauerte. Bald formierte sich in Darmstadt die „Frau – Leben – Freiheit – Initiative”. Die Organisation dieser Initiative überließ ich jungen Frauen und Männern aus Darmstadt, während ich die Flugblätter für die Mittwochsaktionen schrieb.
Später gründete ich mit vier weiteren Freund:innen einen Verein in Darmstadt, um die Stimme der Protestierenden in Deutschland noch besser und lauter zu machen. Meine aktive Zeit in diesem Verein war jedoch kurz. da ich nicht mehr in Darmstadt lebe. Über den aktuellen Stand in Darmstadt bin ich nicht informiert.
Was erhoffen sich die Aktivistinnen von den Demonstrationen?
Die Aktivistinnen der iranischen Diaspora hoffen mit ihren Aktionen im Ausland darauf, dass die europäische Bevölkerung auf die Lage im Iran aufmerksam wird und demokratische Staaten dazu bewegt werden, die iranische Bevölkerung aktiv zu unterstützen. Gleichzeitig wissen die Protestierenden im Iran, dass ihre Brüder und Schwestern im Ausland hinter ihnen stehen – eine wichtige moralische Unterstützung, die sie darin bestärkt, ihren Widerstand fortzusetzen.
Gibt es bereits sichtbare Erfolge oder Rückschläge?
Ja! Es gab wichtige Erfolge im Iran:
– Die Sittenpolizei ist nicht mehr sichtbar.
– Das Regime wurde zum Rückzug gezwungen.
– Immer mehr Frauen gehen ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit.
Doch es gibt auch Niederlagen: Die Widerstandsbewegung gegen den Islamfaschismus hat noch keinen klaren Plan und keine nennenswerte Organisation. Dies ist einer der Hauptgründe, warum sich verschiedene Gruppen der iranischen Diaspora in europäischen Städten nicht auf einen gemeinsamen demokratischen Dachverband einigen konnten.
Wie könnte sich die Bewegung weiterentwickeln?
Die Protestbewegung im Iran entwickelt sich momentan langsam. Es gibt viele Streiks, zuletzt von LKW-Fahrern. Doch das Problem bleibt: fehlende Organisation und ein klarer Plan. Das Regime unterdrückt jeden Versuch, eine oppositionelle Struktur aufzubauen, mit brutaler Gewalt. Dies zeigt, wie entscheidend politische Unterstützung aus demokratischen Staaten wäre. Leider bleibt die iranische Bevölkerung trotz 46 Jahren Kampf für ihre fundamentalen Rechte von der Weltgemeinschaft weitgehend ignoriert und alleingelassen.
Was erhoffen Sie sich von der deutschen Politik oder der internationalen Gemeinschaft?
Ich habe keine Hoffnung und keine Illusion mehr, dass die deutsche Politik uns helfen wird.
Was haben Sie von der Zeit mitgenommen?
Durch meine Aktivitäten von Oktober 2022 bis November 2024 in Darmstadt habe ich zunächst mich selbst besser kennengelernt, meine Stärken und Schwächen akzeptiert und wertvolle Erfahrungen gesammelt. Ich habe neue Freundschaften geschlossen und meine Menschenkenntnisse erweitert. Meine wichtigste Erkenntnis: Eine Revolution muss zuerst in den Köpfen der Menschen gegen ihr eigenes reaktionäres Gedankengut gewonnen werden, bevor sie auf den Straßen gegen die herrschende islamistische Regierung siegen kann.
Titelbild: Sima Ghaffarzadeh
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