vielbunt e.V.: Laufen für mehr Sichtbarkeit
Ein lauwarmer Frühsommerabend in Darmstadt. Die Sonne steht noch hoch, verliert aber langsam ihre Kraft. Zwischen dem Sportplatz der Darmstadt Whippets und einem Waldstück versammelt sich eine kleine Gruppe. Was aussieht wie ein lockerer Freundeskreis, ist der Lauftreff von vielbunt e.V. – ein sportliches Angebot mit Haltung.
Joggen mit queerer Perspektive – was banal klingt, ist für viele alles andere als selbstverständlich. Der queere Verein vielbunt e.V. aus Darmstadt hat sich das zur Aufgabe gemacht, sichere Räume zu schaffen – auch auf der Laufstrecke. Entstanden aus einem informellen Freundeskreis, der einfach „mal zusammen joggen gehen“ wollte, ist der Lauftreff heute Teil der AG Vielbunt*sport und damit ein fester Bestandteil des Vereinslebens.
Der Fokus liegt dabei nicht auf Zeiten, sondern auf dem Miteinander. „Es geht hier nicht um Leistung“, sagt Bernd, der seit vier Jahren Teil der Gruppe ist. „Wir sind eher ein laufender Stammtisch.“ Mal seien vier Leute da, mal zwölf – wer Lust hat, kann einfach vorbeikommen.
Während des Laufens wird geredet, gelacht und manchmal auch politisiert. Und auch heute Abend wird viel über vergangene CSDs, kommende queere Sportfeste und die gemeinsamen Teilnahmen an Events wie dem „Lauf für mehr Zeit“ zugunsten der Aidshilfe oder dem XMAS Rainbow Run, der vom Frankfurter Volleyball Verein (FVV) immer im Winter veranstaltet wird, erzählt.
Loop Nummer zwei oder lieber Schluss bei fünf Kilometern?
Die Organisation läuft locker. Über eine WhatsApp-Gruppe stimmen sich die Mitglieder:innen ab, wer wann laufen will und wo gelaufen wird. Die Strecke an diesem Abend ist ein Rundkurs durch den angrenzenden Wald. Wer nach einer Runde genug hat, steigt aus und wer weiter will, läuft einfach nochmal los. Zwei Loops ergeben zehn Kilometer, und dabei kann jede:r in seinem eigenen Tempo laufen. Es wird gewartet, geredet und gelaufen. Niemand bleibt allein zurück. Zwischendrin passiert ein unerwarteter Stop: Ein Wurstautomat mitten im Wald sorgt für kollektives Staunen und Gelächter.
Sport als queere Selbstbehauptung
Sport ist für viele queere Menschen ein ambivalentes Feld: Einerseits wichtig für das psychische und physische Wohlbefinden, andererseits oft ein Raum, in dem Diskriminierung und Normdruck spürbar werden. Gerade in klassischen Sportvereinen oder Fitnessstudios dominieren häufig heteronormative Strukturen wie Geschlechtertrennung, starre Rollenbilder und wenig Sensibilität für nicht-binäre Identitäten.
Kollin, der vor fünf Jahren über die Vielbunt-Jugendgruppe zum Verein kam, weiß genau, wie wertvoll ein safer Space im Sport sein kann: „Es ist sehr wichtig, dass queere Menschen Sport machen, weil sie durch gesellschaftliche Themen ein viel höheres Risiko haben, Depressionen zu entwickeln. Da ist Sport einfach sehr wichtig und ein guter Mechanismus, um da eben gegenzuwirken.”
Gleichzeitig gebe es viele Hürden im Sport, erklärt er. “Man muss sich oft einsortieren in Kategorien und Pronomen. Da ist es einfach schön, wenn man einen Ort hat, wo man hinkommen und Sport machen kann, so wie man ist, ohne den Auftrag zu haben, Leute darüber aufklären zu müssen, warum man seine bestimmten Pronomen verwendet. Das ist einfach ein sehr wichtiger Punkt im queeren Sport.“
Warum Kollin gerne wöchentlich am Vielbunt Lauftreff teilnimmt? Für ihn kann das Laufen als Einzelperson schnell langweilig werden. Das Laufen in der Gruppe ist für ihn dagegen eine große Motivation. Es freue ihn, mit anderen Leuten während des Laufens zu reden und sie immer wieder zu sehen.
Kooperation statt Isolation
Da Vielbunt als gemeinnütziger Verein keine eigenen Sportstätten finanzieren kann, war eine Kooperation von Vorteil. Besonders eng ist die Verbindung zum FVV, mit dem nicht nur Räume und Infrastruktur geteilt werden, sondern auch ein reger Austausch stattfindet. Die Gruppen mischen sich untereinander, laufen mit und zeigen Gesicht – und das bewusst. Denn Vielbunt sieht sich nicht nur als Freizeitangebot, sondern als politische Kraft: „Wir wollen uns für queere Rechte im Sport einsetzen“, erklärt Bernd.
Auch Events außerhalb von Darmstadt stehen regelmäßig auf dem Programm. Mitglieder:innen des Lauftreffs sind häufig bei queeren Laufevents in Köln, Frankfurt und anderswo dabei. Der Austausch mit anderen queeren Sportvereinen ist dabei genauso wichtig wie die sportliche Aktivität selbst.

Ein Verein mit vielen Farben
Der Lauftreff ist kein isoliertes Projekt, sondern eingebettet in die komplexe Vereinsstruktur von Vielbunt. Arbeitsgruppen wie die Queerbar, die Trans*-Gruppe, die Jugendgruppe oder die politische AG arbeiten gemeinsam an einer bunteren Stadtgesellschaft. Monatliche AG-Treffen sorgen für Austausch, neue Ideen und gemeinsame Aktionen. Hier trifft Community-Arbeit auf Empowerment und politische Bildung auf Freizeitgestaltung.
Kollin ist nicht nur läuferisch aktiv, sondern auch beim Tanzen. „Ich hätte wahrscheinlich gar nicht damit begonnen ohne queere Tanzgruppen, weil ich auch einfach mal beispielsweise beim Standardtanz, die Follower-Rolle ausprobieren wollte. Und wenn man dann in einem heteronormativen Umfeld ist, wird man da eher mal angeguckt und ist da das ‚Alien‘ quasi. Es ist aber ein wichtiges Thema, mich auch mal auszuprobieren.“
Einladend für alle, die sich bewegen wollen
Was aber, wenn jemand denkt, zu langsam zu sein? Nicht fit genug? Auch da begegnet einem beim Vielbunt*laufen kein Leistungsdruck. „Bei uns in Darmstadt, beim Laufen, geht es nicht um Leistung. Deshalb haben wir beim Laufen alle Geschwindigkeiten mit dabei. Es findet sich also immer jemand, der/die/they dann eben auch mal ein bisschen langsamer mitläuft. Das ist gar kein Problem und deswegen: Kommt einfach vorbei und lauft mit!“, sagt Kollin ermutigend.
Vielbunt*laufen ist also nicht einfach ein Lauftreff. Es ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass queere Menschen in allen Lebensbereichen Raum verdienen – auch im Sport. Zwischen Pulsuhren und Laufjacken entsteht hier ein Gemeinschaftsgefühl, das weit über das Joggen hinausreicht. Wer mitläuft, bewegt nicht nur die Beine, sondern auch etwas in sich und seiner Stadt.
Lust bekommen?
Der Lauftreff trifft sich regelmäßig, meistens donnerstags. Ob fünf oder zehn Kilometer, ob langsam oder zügig – jede*r ist willkommen. Wer mitlaufen möchte, kann sich über die Seite von Vielbunt e.V. informieren und teilnehmen.
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