Gruppenbild mit Rädern.
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Trendsport Rennrad: Eine Geburtstagsparty auf zwei Rädern

Dank dem Hype auf Social Media steigen immer mehr junge Menschen aufs Rennrad. Von einer außergewöhnlichen Geburtstagsfeier und jungen Radsport-Weisheiten.

Ob Kai Pflaume oder „Fahrradmaus“-Influencerin Paula Enzweiler: Wer als sportinteressierte Person durch seine Social-Media-Feeds scrollt, kommt seit geraumer Zeit kaum um DIE neue Trendsportart herum: Rennradfahren. Früher unter jungen Menschen noch als spießig und uncool verschrien, werden nun Landstraßen im Raum Darmstadt an sonnigen Tagen von jungen Hobbyfahrer:innen wortwörtlich überrollt.

Kilometer 0: Geburtstagsgruppetto statt Tresen-Marathon

Auch Marlene Röhl bereitet sich an einem heißen Sommersonntag auf eine Ausfahrt mit dem Rennrad vor. Die Trinkflaschen werden mit isotonischem Wassermix gefüllt, der Luftdruck des Reifens gecheckt und der Inhalt der Trikottaschen mit Riegeln und Gummibärchen befüllt. Vergangenen Freitag hatte Marlene Geburtstag; ihren 24. feiert die Studentin aber nicht etwa in der Kneipe, sondern mit einer gemeinsamen Ausfahrt im Freund:innenkreis. Insgesamt zehn Fahrräder warten in ihrem Hof auf den Startschuss. „Früher bin ich nur alleine gefahren, jetzt haben wir eine richtige Gruppe“, freut sich das Geburtstagskind, das hier in Darmstadt Bauingenieurwesen studiert.

Das Gruppetto setzt sich in Bewegung, rollt hinaus aus der Stadt gen Süden. Zum ersten Mal saß Marlene vor drei Jahren auf dem Rennrad. Mit dem Gravelbike eines Familienfreunds drehte sie ihre ersten Runden, der Spaß am Fahren packte sie sofort. Doch in ihrem Darmstädter Umfeld war sie die Erste mit sportlichen Ambitionen auf dem Rad, die mangelnde Erfahrung wurde so zur ersten Herausforderung. „Ich kannte mich gar nicht aus. Wie weit fährt man? Wie trainiert man? So bin ich im gesamten ersten Jahr nur ganz kleine Runden gefahren“, erzählt Marlene, die in diesem Jahr bisher schon 2.000 Kilometer zurückgelegt hat.

Radgruppe rollt über Landstraße
Die Radgruppe rollt über die Landstraßen des Darmstädter Umlands. /Bild: Malte Göttlinger

Kilometer 20: „Col de Beerbach“

Sie lotst die Gruppe in Richtung Nieder-Beerbach, zum ersten großen Tagesanstieg. In geschlossener Zweierreihe verstummen am Berg die zuvor noch angeregten Gespräche und weichen ersten Schnaufgeräuschen. Der Trend hat die meisten aus ihrem Freund:innenkreis zum Rennrad gebracht, erklärt die heutige Tourguide. Immer wieder schlossen sich neue Bekannte den immer größer werdenden Trainingsrunden an. Für Marlene liegt in der gemeinschaftlichen Anstrengung auch Erholung: „Am meisten Spaß daran macht mir, dass man draußen ist, sich dabei bewegt und dem Körper etwas Gutes tut. Vor allem aber ist man ein paar Stunden praktisch nicht erreichbar. Auch wenn man mit anderen Leuten zusammen fährt, konzentriert man sich nur auf den Moment. Man macht einfach sein Ding.“

Der erste Berg, von der Gruppe „Col de Beerbach“ getauft, ist bereits überwunden. Anstieg Nummer zwei folgt direkt, noch steiler und erbarmungsloser, ohne Fahrtwind brennt die Hitze im Genick. „Man erlebt hier gemeinsam auf jeden Fall etwas anderes, als wenn man sich nur in der Uni sieht“, sagt Marlene und lächelt. Auf der Kuppe warten die schnellsten Bergziegen auf den Rest, ein öffentlicher Wasserhahn (der sonst wohl eher zur Bewässerung öffentlicher Blumenbeete genutzt wird) dient als willkommene Abkühlung. 

Kurze Pause nach Anstieg
Die ersten Anstiege erfordern erste Verschnaufpausen. /Bild: Malte Göttlinger

Benedikt Riemenschneider, von Freund:innenen nur Beni genannt, nutzt die Chance, seine Flaschen nachzufüllen. Mit nur drei Monaten Erfahrung auf dem Rennrad ist er zwar noch nicht lange auf der Straße unterwegs, doch der Sport hat ihn bereits fest gepackt. Sein Mitbewohner und er wollten ursprünglich an einem Triathlon teilnehmen – ob es sich lohnt, dafür ein Rennrad zu kaufen? „Wir haben uns gefragt: Bringt es das? Dann haben wir uns beide eins zugelegt – und ich bereue absolut gar nichts“. Auf dem Rennrad war es für Beni von Anfang an ein anderes Gefühl, als einfach auf einem normalen Stadtfahrrad zu sitzen: Nur zum Fahren losziehen, herumkommen und etwas erleben. 

Kilometer 50: Verpflegungsstation Deluxe

Eine lange Abfahrt führt das Geburtstags-Gruppetto in Richtung Reichelsheim, bevor nach Brensbach langsam die Vorfreude auf die Halbzeitpause steigt. Am Rande einer kleinen Landstraße warten Marlenes Eltern. Für den Ausflug haben sie eine ausgiebige Verpflegungsstation errichtet. Wassermelone, Eis am Stiel, Gebäck sowie kalte Cola sorgen in kurzer Zeit für den benötigten Nachschub an Flüssigkeit, Zucker und Kohlenhydraten. Es wird gegessen, gequatscht und sich über die bewältigten Kilometer ausgetauscht.

Verpflegungstation zur Halbzeitpause.
Zur Halbzeit gibt’s eine ausgiebige Verpflegungsstation – Radtour Deluxe. /Bild: Malte Göttlinger

Marlene merkt an, dass der Vergleich mit Anderen am Anfang auch Probleme mit sich bringen kann. „Man sieht es auf Social Media häufig, dass Leute sich als erstes Rennrad direkt ein Vollcarbon-Aero-Rad für tausende Euro kaufen”, erzählt sie. „Als Anfänger darf man sich davon nicht blenden lassen.” Ihrer Meinung nach reiche es für den Anfang völlig, sich ein Rad zu leihen und einfach mal drauf loszufahren: „Wenn es Spaß macht, dann kann man weiterdenken.“ 

Trotzdem bleibe die finanzielle Komponente die größte Herausforderung für Einsteiger:innen. „Über 600 Euro muss man schon investieren, um dann überhaupt ein richtiges Rad zu kaufen“, so Marlene. Dazu kommen noch essenzielle Käufe wie Helm und Radhose, später Schuhe und weitere Klamotten. „Da muss man sich auch erstmal reinfuchsen“, sagt Beni. „Ich kann nur empfehlen, sich in Läden ausführlich und ordentlich beraten zu lassen.” Mittlerweile ist es Nachmittag, einige Stunden im Sattel sind bereits vergangen.

Kilometer 70: Krämpfe im Endspurt lohnen sich

Die Truppe befindet sich im Endspurt, nur noch 15 Kilometer sind es bis zu Marlenes Hof, in dem Kaltgetränke und Familienpizzen warten. Langsam beginnen die heißen Temperaturen und das anspruchsvolle Profil der Runde den ersten aus der Gruppe Probleme zu bereiten. Vereinzelte Krämpfe sorgen für Zwangspausen, das Tempo sinkt. Der guten Stimmung tut das nichts an: Schnell lernt man beim Rennradfahren, dass sich die Strapazen lohnen. Für Beni war diese Erfahrung als Neuling eine große Motivation. „Man sieht super schnell Erfolge, gerade am Anfang. Die Sicherheit für das, was man auf dem Rad kann, wächst sehr schnell. Das hat mir geholfen, weiterzumachen.“ 

Gute zwanzig Minuten später ist es geschafft: Die rollende Geburtstagsparty erreicht wieder den Startpunkt. 87 Kilometer, 1.150 Höhenmeter in knapp 3:20 Stunden werden stolz im Radcomputer abgespeichert.

Die Runde zum Nachfahren

Was sie Anfänger:innen raten würden? Jemanden finden, der Ahnung hat und am Anfang unterstützt, das könne Gold wert sein, erklärt Beni. Wenn sich dafür niemand im Freundeskreis eignet, gibt es in Darmstadt auch eigene Klubs für gemeinsame Ausfahrten, zum Beispiel den „Ridestall“ mit eigenem Clubhaus in der Saalbaustraße. „Am besten sollte man es trotzdem zu Beginn etwas ruhiger angehen“. 

Sich nicht überfordern, aber herausfordern ist auch Marlenes Tipp: „Man muss keine Angst haben, einen Berg hochzufahren. Wenn man oben ist, hat man solche Glücksgefühle, dass man sofort wieder vergisst, wie anstrengend die Auffahrt war.“

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