Warum wir den HeinerLiner vermissen

Öffentlicher Nahverkehr soll für alle zugänglich und sicher sein. Doch auch in Darmstadt berichten Frauen und queere Personen, dass sie selbst am helllichten Tag in Bus und Bahn wachsam bleiben.

Oft sind es keine akuten Bedrohungen, sondern unangenehme Zwischenfälle. Jemand setzt sich zu nah, startet ein Gespräch trotz Kopfhörer oder hört nicht auf zu starren. Zu oft überschreiten Fremde an Bahnhöfen oder Haltestellen den persönlichen Abstand oder nähern sich trotz eindeutiger Signale weiter an.

Strafrechtlich relevant sind solche Erlebnisse meistens nicht und doch hinterlassen sie Spuren. Deshalb war der HeinerLiner für viele eine Alternative. Seit Februar fährt der Shuttle-Service der HEAG mobilo jedoch nur noch abends, nachts und am Wochenende. Grund dafür ist die angespannte Haushaltslage. „Uns war es wichtig, trotz allem ein Angebot zu erhalten“, erklärt Paul Georg Wandrey (CDU), Mobilitätsdezernent der Stadt.

Sicherheit auf dem Papier – Unsicherheit im Alltag

Aber reicht das aus? Darmstadt gilt laut Polizeilicher Kriminalstatistik in Hessen nicht als besonders gefährlich. Auch das Polizeipräsidium Südhessen teilt auf Anfrage mit, dass der ÖPNV in Darmstadt aus Sicht der Polizei kein Kriminalitätsschwerpunkt ist. Auch wenn es dort immer wieder zu Straftaten kommt.

Doch Statistiken erzählen nicht alles. Fragt man Frauen oder queere Personen, sind Geschichten von Grenzüberschreitungen keine Seltenheit. Auch die Polizei räumt ein: „Das subjektive Sicherheitsgefühl spiegelt sich meist nicht in den objektiven Zahlen wider. Schlagzeilen über Belästigung oder Gewalt führen oft zu Verunsicherung – auch wenn das tatsächliche Risiko meist überschätzt wird.“

„Es geht mir nicht darum, Panik zu verbreiten“, sagt Lara (20), Studentin der Sozialen Arbeit an der Hochschule Darmstadt. „Aber der öffentliche Raum ist nicht für alle gleich sicher. Und das spürt man auch am helllichten Tag. Nachts nutze ich den HeinerLiner oft. Vor allem, seit ich am Luisenplatz zwei Situationen erlebt habe, in denen ich wirklich Angst hatte. Aber auch tagsüber war es beruhigend zu wissen, dass ich im Zweifel den HeinerLiner rufen kann. Das vermisse ich.“

Neue Maßnahmen – und neue Ängste?

Mitte März hat die Stadt das Sofortprogramm „Sichere Innenstadt“ gestartet. Es umfasst verstärkte Polizeikontrollen sowie eine Waffen- und Messerverbotszone im ÖPNV.  Diese Maßnahmen sollen für mehr Sicherheit sorgen. Sie machen aber auch mehr sichtbar. „Hoch frequentierte Bereiche wie zum Beispiel der Luisenplatz bieten aufgrund der höheren Anzahl an Personen mehr Möglichkeiten, Straftaten zu begehen“, erklärt ein Sprecher des Polizeipräsidiums. Meldungen über Klappmesser in der Bahn und Drogenfunde an Haltestellen sind Einzelfälle, doch sie summieren sich in der Wahrnehmung. Wer sich ohnehin unwohl fühlt, findet in solchen Nachrichten eher Bestätigung als Beruhigung.

Ich finde es wichtig, dass es den HeinerLiner gibt – auch wenn ich ihn selbst nicht nutze“, sagt Samuel (26), Ingenieurstudent an der TU Darmstadt. „Ich bin groß und kräftig, ich fühle mich selten bedroht. Aber wenn ich an meine Freundin denke, wünsche ich mir, dass sie den HeinerLiner auch tagsüber nutzen könnte. Ich habe öfter gesehen, wie Frauen in der Bahn bedrängt werden.“

Mobilität mit Einschränkungen

Natürlich: In vielen Großstädten fahren Frauen mit Bus und Bahn – und kommen sicher an. Doch genauso real ist, dass viele den öffentlichen Nahverkehr bewusst meiden. Wer kann, lässt sich abholen, sucht sich Umwege oder plant seine Aktivitäten so, dass man vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause ist. 

Besonders schwierig wird es für jene, die für Studium oder Ausbildung in eine neue Stadt gezogen sind. Ohne die Nähe von Familie und langjährigen Freunden fehlt ein Sicherheitsnetz. Wer niemanden hat, den man im Notfall kontaktieren kann, vermeidet lieber potenzielle Risiken. Für viele junge Frauen heißt das, spontane Treffen abzusagen oder abends lieber nicht mehr rauszugehen. Nicht weil es immer gefährlich wäre, sondern weil sie das Risiko einfach nicht eingehen wollen.

Auch für Menschen mit körperlichen Einschränkungen war der HeinerLiner ein wichtiger Bestandteil des Alltags. Einige Fahrzeuge wurden 2022 speziell für Rollstühle umgebaut. Außerdem lagen die virtuellen Haltestellen oft näher als die regulären Bushaltestellen. Da es in Darmstadt bislang kein barrierefreies Taxi gibt, war der Shuttle für viele die einzige flexible Möglichkeit, sich tagsüber unabhängig zu bewegen.

Alternativen?

Ein Taxi? Für viele unbezahlbar – vor allem bei regelmäßiger Nutzung. Wer trotzdem flexibel bleiben will, kann auf Anbieter wie Uber ausweichen. Die App zeigt Fahrer:innen mit Bewertungen und Fahrzeugtyp an. Man weiß, wer einen abholt. Wer flexibel ist, kann über die Sparoption oft günstig fahren.

Auch die Polizei gibt Tipps für mehr Sicherheit: „Setzen Sie sich im ÖNPV in die Nähe der Fahrer:innen oder in einen Wagen mit vielen Menschen. Wenn Sie belästigt werden, reagieren Sie laut, machen Sie andere auf sich aufmerksam – und bitten Sie direkt um Hilfe.“

Sicherheit erfordert Strukturen, die unterschiedlichen Lebensrealitäten gerecht werden. Deshalb wird der HeinerLiner von vielen vermisst.

Bild: © HEAG mobilo

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