„Wir brauchen Zusammenhalt, Engagement und eine Stadt, die mitwächst“

Darmstadts Oberbürgermeister Hanno Benz spricht im Was-DA-los-Interview über neue Projekte, seine Erwartungen an die Jugend und warum Zusammenhalt und Engagement wichtiger denn je sind.

Wie will die Stadt bezahlbaren Wohnraum in Darmstadt schaffen, junge Menschen stärker einbinden, den Verkehr gerechter gestalten und für mehr Sicherheit im öffentlichen Raum sorgen? Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD) hat sich diesen und weiteren Fragen der Was-DA-los-Redaktion gestellt. Das sind seine Antworten.

Herr Oberbürgermeister, viele junge Menschen, die in Darmstadt studieren wollen, finden keine Wohnung. Was unternimmt die Stadt dagegen?

Zunächst dazu einige Vorbemerkungen: Die Stadt Darmstadt ist in den vergangenen 25 Jahren um 30.000 Einwohner gewachsen. Das heißt, wir sind jetzt bei 170.000 Menschen, die hier wohnen. Das Thema Wohnen beschäftigt nicht nur die, die hier an einer der drei Universitäten studieren, sondern eben auch Menschen, die hier leben, wohnen und arbeiten. Dieses Wachstum ist im Kern ein positiver Effekt, weil es auch zeigt, dass wir als Stadt zukunftsorientiert aufgestellt sind. 

Ich bin seit zwei Jahren im Amt, das heißt, viele Maßnahmen, mit denen ich begonnen habe, können noch nicht greifen. Wichtig ist mir, dass diese Wachstumsfrage nicht allein auf die Schaffung von Wohnraum reduziert werden sollte. Wenn wir über das Wachstum und auch das Bevölkerungswachstum reden, müssen wir auch darüber reden, wie wir Infrastruktur mitwachsen lassen. Nur Wohnraum zu schaffen reicht nicht. Wir brauchen auch entsprechende soziale Infrastruktur, kulturelle Angebote und Sportangebote.

Stellen Sie sich vor, Sie wären nochmal ein Student, Anfang bis Mitte 20: Wie würden Sie sich politisch in Darmstadt engagieren?

Ich finde, man sollte sich dort im persönlichen Lebensumfeld engagieren. Das ist in erster Linie ein politisches Angebot, besonders auch auf kommunaler Ebene.Ich empfehle, sich in demokratischen Parteien zu engagieren. 

Aber auch die Menschen, die sich im Ehrenamt, Vereinen und Verbänden engagieren, leisten einen großen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Deswegen freue ich mich über alle, die sich in der Stadt in verschiedenen Organisationen einbringen. Das ist ein Thema, das alle Generationen angeht.

Denn es gibt zwei große Themen in unserer Gesellschaft: Das eine ist der Zusammenhalt, sich auf Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu engagieren. Das heißt im Kampf gegen die neuen Nazis, egal ob braun oder blau. Das zweite Thema was aus meiner Sicht ein Gradmesser dafür ist, wie demokratisch eine Gesellschaft ist, ist der Kampf gegen Antisemitismus und die Solidarität mit Israel. Ich glaube, dass die Gesellschaft hier ein ernsthaftes Problem hat. Ich will offen sagen, dass das, was in den vergangenen beiden Jahren – Stichwort 7. Oktober – auch hier in Deutschland passiert ist, mich sehr beunruhigt.

Im Straßenverkehr konkurrieren oft Autos, Fahrräder, Fußgänger und die Öffis. Würden Sie sagen, dass in Darmstadt heute alle gleichberechtigt unterwegs sein können?


Der Ansatz, den wir in der Verkehrspolitik verfolgen, ist, dass wir die Verkehrsträger gleichberechtigt behandeln müssen. Es gibt aus der Vergangenheit heraus noch Rückstände, vor allem im Bereich des Fußverkehrs und des Radverkehrs. Aber grundsätzlich geht es darum, das Thema ein bisschen nüchterner zu betrachten und gemeinsam Lösungen zu finden. Wir haben in den vergangenen beiden Jahren Entwicklungen gemacht, weg von einer ideologischen Betrachtungsweise hin zu einer sehr pragmatischen, um allen Verkehrsteilnehmern gerecht zu werden. Wir haben auch schon an vielen Stellen Lösungen gefunden, gerade dort, wo es Konflikte gab. 

Es geht aber nicht nur um die Frage: Wie kommen wir hier in der Innenstadt voran, sondern auch darum, überregionale Lösungen zu finden. Wir haben etwa innerhalb des Stadtgebiets Projekte, die funktionieren, während wir an anderen Stellen noch nachbessern müssen. Grundsätzlich ist die Mobilität in der Stadt schon gut organisiert. Aber wenn es um die Frage geht, im Mobilitätssektor Emissionen zu reduzieren, müssen wir das auch in der Regionalentwicklung mitdenken.

Deswegen bin ich froh, dass es mir gelungen ist, einen Prozess anzustoßen, um einen neuen Verkehrsentwicklungsplan zu erstellen. Der soll eben auch die Verkehrsentwicklung im Umfeld der Stadt, also im Landkreis, mitdenken. Wir wollen den Schienenverkehr in den Landkreis ausbauen. All das kann die Stadt allein nicht stemmen. Aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wenn wir bis 2040 klimaneutral sein wollen, dann müssen wir auch den Verkehrsbereich konsequent umbauen.

Einige Menschen fühlen sich abends am Luisenplatz oder im Herrngarten nicht immer sicher. Was tut die Stadt, um das zu ändern?

Darmstadt ist keine Stadt, die in der Kriminalitätsstatistik ganz oben steht. Aber das Sicherheitsgefühl vieler Menschen ist etwas anderes. Dem wollen wir Rechnung tragen und bestimmten Entwicklungen frühzeitig begegnen. Ich komme bei dem Thema aus der politischen Haltung: So viel Prävention wie möglich, so viel Repression wie nötig. Ich bin kein Anhänger einer Politik, die nur auf Repression setzt. Ein Learning aus den vergangenen Jahren ist aber: Ohne Repression geht es manchmal auch nicht.

An der Stelle arbeiten wir eng mit der Landespolizei zusammen. Das hat in den vergangenen Jahren zu einer neuen Zusammenarbeit geführt: Ein gutes Beispiel ist der  Zehn-Punkte-Plan für mehr Sicherheit in der Stadt, den ich mit dem Polizeipräsidenten erarbeitet habe. Eine weitere Maßnahme ist das Waffenverbot in der Innenstadt. Ich finde es schon bedenklich, dass Menschen überhaupt Messer mit sich herumtragen. Dass das verboten ist und kontrolliert wird, finde ich gut. 

In der Sicherheit haben wir Maßnahmen zum Schutz von Großveranstaltungen ergriffen. Auch vor dem Hintergrund der tragischen Anschläge, die es in deutschen Städten gab. Wir wollen uns nicht von solchen Taten diktieren lassen, wie wir leben. Deshalb müssen wir Veranstaltungen absichern. Das kostet Geld. Aber es wäre eine Kapitulation, wenn wir solche Feste nicht mehr feiern würden.

Ein Bettler am Luisenplatz hat im Interview mit der Hessenschau gesagt, als er kürzlich seinen Hut aufgehalten habe, sei die Stadtpolizei gekommen und wollte 50 Euro von ihm haben. Sind sie der Überzeugung, dass Geldstrafen gegen Bettler etwas bringen?


Ich kenne den konkreten Fall nicht, deshalb kann ich das nicht beurteilen. Grundsätzlich sage ich: Wenn Menschen in einem reichen Land wie Deutschland betteln müssen, läuft etwas schief. Das Problem ist: Viele halten sich nicht an Regeln, die notwendig sind, damit Bürgerinnen und Bürger ungestört in der Stadt unterwegs sein können.

Wir hatten in der Innenstadt organisierte Banden, zum Beispiel aus Rumänien. Diese Banden betteln nicht nur, sondern bedrängen Passanten, teils aggressiv. Das läuft am Rand der organisierten Kriminalität, weil diese Menschen die Einnahmen abgeben müssen. Solche Vorfälle beeinflussen die Sicherheit anderer Menschen. Wir merken, dass sich die Situation an bestimmten Stellen entspannt hat. Zum Beispiel ist der Luisenplatz wieder ein Ort, an dem Menschen ungestört an den Haltestellen sein können, weil diese Wartehäuschen an den Haltestellen nicht mehr als Übernachtungs- oder Lagerstätte für Obdachlose dienen.

Viele junge Menschen in Darmstadt gehen regelmäßig auf die Straße – gegen Rechts, fürs Klima, beim CSD. Wie sehen Sie dieses Engagement? 

Grundsätzlich finde ich es gut, wenn junge Menschen politisch aktiv sind. Meine Wahrnehmung ist aber, dass die Kategorie „junge Menschen“ nicht so eindeutig ist. Nicht alle jungen Menschen gehen automatisch demonstrieren. Meistens sind es Studierende, die das tun.

Wenn es darum geht, unsere Demokratie zu verteidigen, müssen wir alle Menschen ansprechen, nicht nur bestimmte Gruppen. Wir als Stadt arbeiten daran, über die klassische Demo-Zielgruppe hinaus zu sensibilisieren, etwa für die Gefahr durch Rechtsextremismus.

Ich stehe als Oberbürgermeister dafür ein und habe mehrfach klargemacht, dass es falsch ist, mir zu unterstellen, ich dürfte nichts gegen die AfD sagen, weil ich einen Eid auf die Verfassung geschworen habe. Wenn es darum geht, die Demokratie zu verteidigen, dann tue ich das als Oberbürgermeister, nicht nur als Privatperson.

Titelbild:  Sandra Kühnapfel

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