Studieren mit Kind: „Ich bin nicht nur Mama“

Bachelorarbeit mit Babybauch und jetzt zurück in den Hörsaal. Johanna studiert trotz Baby. Zwischen Windeln, Vorlesungen und der Frage nach der eigenen Identität.

Johanna (Name geändert) legt ihr Baby für den Mittagsschlaf hin. Für ein paar Minuten ist es zu Hause still. Ein Moment, der für sie als Mama selten geworden ist. Heute nutzt sie die Zeit für ein Interview. Bald wird sie in dieser Zeit wieder lernen. Denn Johanna ist nicht nur Mama, sie ist auch Studentin.

Die 31-Jährige studiert den Master „Media, Technology & Society“ an der Hochschule Darmstadt (h_da). Den Bachelor in Onlinejournalismus hat sie bereits abgeschlossen. Mit einer Besonderheit: Während ihrer Bachelorarbeit war sie schwanger. Trotzdem war für sie klar, der Master soll sein und somit bereitete sie sich neben den Klausuren gleichzeitig auf die Geburt ihres ersten Kindes vor. „Ich würde sagen, ich habe das beides echt gut gemeistert“, erzählt sie lächelnd. In den Semesterferien kam ihre Tochter zur Welt und Johannas Elternzeit begann. Jetzt, rund ein Jahr später, sitzt sie wieder am Schreibtisch und bereitet sich darauf vor, ihren Master abzuschließen.

Hochschule Darmstadt als familienfreundlich zertifiziert

Mutterschaft und Hörsaal – das klingt für die meisten erstmal nach einem Widerspruch. Aber für jede 13. Studentin ist das die Realität. Laut der aktuellen Sozialerhebung des deutschen Studentenwerks haben etwa 8 Prozent der Studierenden mindestens ein Kind. Besonders in Masterstudiengängen und in höheren Semestern werden junge Eltern häufiger.

Das Jonglieren zwischen Vorlesungen, Windeln und Kita-Eingewöhnung ist eine echte Herausforderung. Deshalb nehmen die Angebote an Universitäten speziell für Eltern zu. Die h_da wurde im April 2015 zum ersten Mal durch das Hessische Ministerium des Innern für Sicherheit und Heimatschutz als „Familienfreundliche Hochschule“ ausgezeichnet. Das Familienbüro gilt bei Fragen und Problemen als zentrale Anlaufstelle für studierende Eltern. Es berät rund um Mutterschutz, Nachteilsausgleich und Studienorganisation. „Wir schauen im Einzelfall, wie sich Schwangerschaft und Kindererziehung mit dem Studium vereinbaren lassen. Dabei ist das Finden eines passenden Betreuungsplatzes eines der häufigsten Probleme“, erklärt das Familienbüro. 

Umso wichtiger seien deshalb die unterstützenden Angebote auf dem Campus. Neben Eltern-Kind-Räumen und Spielecken in den Bibliotheken gibt es die Notfallbetreuung „Fluggis Abenteuerland“ in Darmstadt, eine Art Backup-Kita für Kinder von Studierenden, Mitarbeitenden und Lehrenden der Hochschule. Dort können Kinder kurzfristig betreut werden, wenn zum Beispiel die eigentliche Kita zu hat oder eine Vorlesung außerhalb der Betreuungszeiten stattfindet. Geöffnet ist die Notfallbetreuung montags bis samstags von 6 bis 22 Uhr. Die Hochschule übernimmt die Kosten, und das flexible Angebot wird laut dem Familienbüro oft genutzt.

Kita auf Campus musste schließen

Eine eigene Kita auf dem Campus gibt es seit Sommer 2024 nicht mehr. Die „Krabbelkiste“ war eine Elterninitiative, die über 30 Jahre die Räume der h_da kostenlos nutzen durfte. Das Gebäude sei jedoch „so marode gewesen, dass es aus Sicherheitsgründen nicht mehr genutzt werden durfte“, erklärt das Familienbüro. Ein Umbau hätte rund 500.000 Euro gekostet, was für die h_da nicht finanzierbar war. Eine Alternative zur „Krabbelkiste“ ist aktuell nicht geplant. Das liegt vor allem an der angespannten finanziellen Situation der Hochschule. Somit wird es auch in den nächsten Jahren keine Kinderbetreuung auf dem Campus der h_da geben.

Ein Rückschlag in Sachen Kinderfreundlichkeit, kritisiert Johanna. „Spielecken in der Bibliothek helfen mir halt nicht, wenn ich Vorlesung habe.“ Das Baby mit in den Hörsaal nehmen? Ist theoretisch nach Absprache mit der lehrenden Person erlaubt, aber kaum vorstellbar. 

In Hessen fehlen 40.000 Kita-Plätze

Johanna hatte Glück und bekam einen Krippenplatz für ihre fast einjährige Tochter. „Ohne Krippe wäre das gar nicht möglich“, sagt sie. Um bessere Chancen auf einen Platz in einer Kita zu haben, ist sie mit ihrem Mann extra von Darmstadt aufs Land gezogen. Gesetzlich gesehen, haben Eltern einen Anspruch auf Betreuung im Wohnort, wenn das Kind ein Jahr alt ist. Doch die Realität sieht anders aus: Alleine in Hessen fehlen nach Angaben der Bertelsmann Stiftung rund 40.000 Kita-Plätze. Dabei sei besonders die Betreuung für Kinder unter drei Jahren betroffen und auch bis 2030 könne der Bedarf wahrscheinlich nicht gedeckt werden. Grund dafür sei unter anderem auch der Fachkräftemangel. Die Studentin sieht genau hier das Problem. „Alle wollen, dass man Kinder bekommt und wieder arbeiten geht, aber keiner möchte sich kümmern. So funktioniert das nicht.“

Die junge Mutter weiß ihren Kita-Platz sehr zu schätzen. Er gibt ihr die Möglichkeit, ihren Wunsch zu verwirklichen und das Studium zu beenden. Die Zeit nach der Geburt war für sie sehr emotional, gefüllt mit Liebe, neuen Erfahrungen und Herausforderungen. Trotzdem spürte Johanna eine Art Stillstand. „Ein Kind füllt deine Zeit, aber nicht deinen Geist“, beschreibt sie die Situation. Das Studium gebe ihr Struktur, geistige Herausforderung und das Gefühl, etwas für sich zu tun. „Studieren bedeutet für mich Selbstbestimmung, Freiheit und ganz großes Glück“, sagt sie. „Das ist der Ort, der nur mir gehört, und darauf freue ich mich.“

Konflikt zwischen Mutterschaft und Identität: „Ich bin nicht nur Mama“

Der studierenden Mutter geht es dabei nicht nur um ihre Karriere oder den finanziellen Aspekt, sondern besonders um ihre Identität. Die Entscheidung, weiter zu studieren, ist ihr trotzdem nicht leichtgefallen. Immer noch herrscht der gesellschaftliche Druck, dass Frauen sich vollständig über die Mutterrolle definieren sollen. Dass diese Erwartung veraltet ist, zeigt die israelische Soziologin Orna Donath in ihrer viel diskutierten Studie „Regretting Motherhood“. In dem Buch sprechen Frauen offen über ihre Reue. Nicht, weil sie ihre Kinder nicht lieben, sondern weil sie sich in der Mutterrolle selbst verloren haben.

Johanna bereut ihre Schwangerschaft nicht. Trotzdem kennt sie das Gefühl, sich in einer Rolle wiederzufinden, die nicht alles von ihr zeigt. „Mama-Sein ist auch nicht das Einzige, was mich erfüllt, und ich bin nicht nur Mama, sondern auch noch Johanna“, sagt sie. „Meine Selbstverwirklichung findet über mich statt, nicht über mein Kind.“ Deshalb war es ihr wichtig, ihren Master trotz Kind abzuschließen.

Kind und Karriere: Mama-Sein ist eine Superpower

Die Studentin möchte ihre Mutterschaft in ihrem Lebenslauf nicht verstecken und hat sich gegen ein Urlaubssemester entschieden, das ihre Elternzeit einfach ausgeblendet hätte. Auch wenn das bedeutet, dass sich ihre offizielle Studienzeit dadurch verlängert. „Ich stehe zu meiner schönen Lücke im Lebenslauf“, sagt sie stolz.

Ganz bewusst macht sie deshalb ihr Muttersein auf LinkedIn sichtbar. „Ich will zeigen, dass ein Kind keine Bremse ist, sondern eine Stärke.” Sie habe in dieser Zeit gelernt, flexibel und effizient zu sein und Grenzen zu setzen. „Das ist doch voll die Superpower für mein späteres Berufsleben”, sagt sie lächelnd.

Titelbild: Privataufnahme von Johanna

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