Der Eingang des Cooperate History Gebäude bei Merck

Die Geschichte von Merck – Mumia, Mobiltelefone und Morphin

1916 forschen Martin Freund und Edmund Speyer an der Universität Frankfurt. Das Opioid Oxycodon wird während dieser Forschungen synthetisiert . Die beiden wollten einen „Morphin-Ersatz“ gegen starke Schmerzen herstellen. Ziel war es, eine Substanz zu entwickeln, die ohne die suchterzeugenden Wirkungen von Morphin auskommt, wie uns Frau Bernschneider erzählt. „Es war angedacht, damit auch einen Morphinentzug möglich zu machen, durch die Umstellung auf ein Arzneimittel, das die gefährliche Nebenwirkung des Morphins nicht hat.“ 

Merck bringt dann ein Jahr später die Substanz unter dem Namen Eukodal auf den Markt. Der Handelsname wurde aus den Begriffen „eu“ (griechisch: gut, schön, angenehm) und kodeia (griechisch: Mohnkapsel [also der Hinweis auf die Pflanze, aus der Morphin isoliert wird]). Die Wissenschaftler übergaben das Recht der Herstellung unter einer vertraglich ausgehandelten Gewinnbeteiligung an Merck. Tatsächlich empfiehlt 1935 das wissenschaftliche Prospekt das Mittel auch in der Geburtshilfe. Aus heutiger Sicht war das eine gefährliche Empfehlung. Wie kam es dazu? Frau Bernschneider erklärt das so: „In dieser Zeit wurden kaum klinischen Prüfungen gemacht, bevor ein Medikament auf den Markt gekommen ist. Das heißt, es wurde festgestellt, gut, Eukodal ist schmerzlindernd, ist entspannend. Das war in der Geburtshilfe ein entscheidender Fortschritt. (…) Zum Nebenwirkungspotenzial entwickelt sich ja die Kenntnis erst, wenn ein ausreichender „Pool“ an Patienten beobachtet werden kann.” Es fehlte schlichtweg an „Sample Size”, um diese Behauptung zu widerlegen. 

(Über)flüssige Kristalle? 

Flüssig, fest und gasförmig: Wir alle kennen diese drei Aggregatzustände aus der Schule. Doch was ist, wenn es noch einen vierten gibt und gleichzeitig mit diesem Wissen Objekte hergestellt werden, die uns jeden Tag begleiten? Sogenannte „Flüssigkristalle“ wurden erstmals 1889 vom Physiker Otto Lehmann dokumentiert. Sie sollten sich in einem Zustand zwischen fest und flüssig vorliegen können. Eine damals bahnbrechende Entdeckung, die auch Kritiker auf den Plan ruft. So auch den Chemiker Gustav Tammann: „Weiche Kristalle existieren zweifellos, meinetwegen soll es auch fließende Kristalle geben, aber Flüssigkristalle? Niemals!” Merck hilft, die Forschung an den Kristallen zu unterstützen, und die Theorie der Flüssigkristalle wird 1920 anerkannt. Nur – was soll dieses Wissen bringen? 

1966 – „Es war ein Merck-Chemiker aus Darmstadt, der eine amerikanische Konferenz besuchte. Auf dieser Konferenz hat er gehört, dass es möglich sei, mit Substanzen, die flüssig-kristalline Eigenschaften haben, Displays herzustellen. Es gab eine kühne Idee, die dort verkündet worden war: Es wäre möglich, einen Bildschirm zu entwickeln für einen Fernseher, der wie ein Bild an die Wand gehängt werden kann.” Was also 46 Jahre später bei dieser Konferenz benannt wurde, kam den Forschern bei Merck doch etwas bekannt vor. „Man hat sich daran erinnert, irgendwie war das früher schon mal ein Thema für Merck. Wir sollten das hier nochmal angehen. Es war dann eine kleine Gruppe von Chemikern, die das spannend fanden und daran geforscht haben.” Die Forschung zahlte sich aus! Denn Flüssigkristalle sind eine Basis unserer heutigen Handybildschirme. Ebenfalls wurden sie für Taschenrechner oder Bildschirme in Autos genutzt. 

Mumia Vera Aegyptica 

Vom fünfjährigen kleinen Hobbyforscher, bis zum erfahrenen Archäologen – Mumien interessieren viele. Jahrtausendealte Pharaonen oder Priester, eingehüllt, um bis ins Jenseits konserviert zu sein. Doch warum sind im Corporate Museum von Merck Köpfe und ein Fuß von antiken Leichnamen zu finden? “Mumia“ gilt seit der Antike als wertvolles Heilmittel. Auch im frühen 20. Jahrhundert ist der Glaube daran noch nicht ganz ausgelöscht Mit dieser Frage beschäftigt sich auch die Website von Corporate History. “Mumia pulvis” wird jahrhundertelang für wertvolle Rezepturen verwendet.” „Warum sollte ein durch komplizierte Konservierung vor dem Verfall bewahrter Leichnam aus fernen Hochkulturen ein Heilmittel sein? (…)Was ist also Mumia? Ein antikes Heilmittel? Ein okkulter Brauch? Mumien schienen zumindest einen Funken von Lebensähnlichem in sich zu tragen. „Diese Kombination muss auch auf das wundergläubige Mittelalter faszinierend gewirkt haben. Dass sich Gleiches mit Gleichem heilen lässt, ist Grundlage nicht nur der Homöopathie, sondern – auf einer anderen Basis – auch der „Signaturenlehre“, die sagt, dass die äußere Gestalt eines Heilmittels auf die Wirkung hinweist. Sie verspricht etwa eine Steigerung der männlichen Potenz mittels eines Pulvers aus einem Rhinozeroshorn. In der Mumie nun hatte man scheinbar ein Allheilmittel zur Hand, etwas Lebenserhaltendes. (…) Zwar werden immer mehr Erklärungsmuster für Lebensvorgänge und Krankheiten gefunden – die Faszination von Mumia als Arznei bleibt.” 

„Ich fand aber einfach das Thema spannend, weil ich aus meiner pharmaziehistorischen Arbeit wusste dass Mumia Vera Aegyptiaca über Jahrhunderte als Arzneistoff verwendet worden ist.“ Sabine Bernschneider-Reif (Head of Corporate History bei Merck)  

Das war für mich dann der Ausgangspunkt zu sagen, diese Objekte müssen wir uns jetzt aber mal wirklich genauer angucken. Dass die Exponate heutzutage bei Merck zu bestaunen ist, auch Frau Bernschneider wichtig gewesen. Die Mumienteile wurden in Zusammenarbeit mit einem Museum in Mannheim genauer untersucht. Sie stammen aus der Zeit von ca. 270 vor Christus. In der Vitrine ist auch eine Preisliste aus dem Jahre 1924 zu sehen. Das Kilo „Mumia vera Aegyptiaca” hatte zwölf Goldmark gekostet. Es war ein Arzneistoff für wohlhabenden Patienten was natürlich daran liegt, dass es aufwendig zu beschaffen war, aufwendig zu lagern war und natürlich durch den hohen Preis auch gewisse Wertigkeit bekommen hat. ”, so Frau Bernschneider. 

Mumienpulver wurden natürlich nicht als Einzelsubstanz genutzt. Vielmehr war es eines von vielen Bestandteilen zusammengesetzter  Arzneimittel, der „Composita“. Das sei an alten Rezeptursendungen, die die damaligen Geschäfte von Merck dokumentieren, zu erkennen. Corporate History erklärt auf der Website „Über ihre eigentümliche Faszination hinaus erzählt „Mumia“ somit Geschichten aus der Zeit des Wunderglaubens und machen den naturwissenschaftlichen Fortschritt seitdem umso sichtbarer.” 

„Es war einfach da” 

Tatsächlich ist nicht geklärt, woher die einzelnen Mumienteile stammen. „Die Objekte waren einfach da.” erzählt Frau Bernschneider. Selbst in alten Korrespondenzen zu Einkäufen und Importen sei kein Hinweis auf die Herkunft der Mumienteile gefunden worden. Dadurch, dass die Teile allerdings nachweislich aus Ägypten stammen, kommt natürlich die Frage auf, wie man heute damit umgeht. Laut Frau Bernschneider ist es wichtig, zu verstehen, dass Mumien „nicht empfunden worden als Objekte, die man besitzen oder zur Schau stellen möchte, sondern dass sie als Arzneisubstanz eingekauft wurden.” 

Merck ist zentral für die Geschichte von Darmstadt. Kaum eine Firma steht so in Kontakt, wie es Merck mit der Wissenschaftsstadt tut. Hier ist es wichtig, den Überblick zu behalten und das tut Merck durch Corporate History sehr eindrucksvoll. Falls ihr noch mehr zur Geschichte von Merck und allerlei interessanten Storys zu diesem jahrhundertealten Unternehmen wissen wollt, dann klickt einfach hier.

Bilder: David Seddig

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