Die Kraft des Mentaltrainings
Was Gedanken im Sport bewirken können.
Krank im Bett liegen und dabei trotzdem trainieren? Im Kopf versteht sich. Ob das wirklich funktioniert und was die Tricks dahinter sind, erzählt Mentaltrainerin Alexandra Albert aus Darmstadt.
Wer zum ersten Mal von Mentaltraining oder Coaching hört, denkt vielleicht an unseriöse Instagram-Coaches. Aber hat das Ganze auch positive Seiten? Sport-Mentaltraining ist neurobiologisch fundiert und zielt auf das „Austricksen des Gehirns“ ab, wie Mentaltrainerin Alexandra Albert erklärt. Es könne im Einzel- und Teamsport als Ergänzung dienen. Sportler:innen schulen so mentale und emotionale Fähigkeiten für den Wettkampf.
Mentaltraining kommt aus der Sportpsychologie und bedeutet „das Trainieren der Bewegung in der Vorstellung“. Kann man also im Bett liegend für die Realität trainieren? Eine Studie des Sportwissenschaftler Mathias Reiser von der Universität Gießen aus dem Jahr 2005 deutet das an. Ganz so einfach ist es laut Mentaltrainerin Alexandra aber nicht: Die physische Form hält etwa fünf bis sechs Tage, danach lässt die Muskelmasse nach.
Was ist Sport-Mentaltraining?
Im Mentaltraining arbeitet man viel mit inneren Bildern. Durch Vorstellungskraft werden alte Informationen überschrieben und neue Verbindungen im Gehirn geschaffen. Alexandra hilft ihren Klient:innen, die Kette aus Gedanken, Gefühlen und Körperreaktionen nachzuvollziehen. Es gehe darum, Gehirn und Wahrnehmung besser zu verstehen – das sogenannte Body-Mind-Prinzip. „Stell dir vor, du siehst eine Spinne in der Ecke. Das ist der Reiz. Dein erster Gedanke lautet sofort: ‘Oh mein Gott, wie eklig!’ Dann schreibt ihr diesen Gedanken auf. Auf diesen Gedanken folgt ein Gefühl – die Angst, die wiederum zu einer Körperreaktion, nämlich der Anspannung führt.“ Genau das passiert im Sport bei Angst vor Wettkämpfen oder bestimmten Situationen.
Die verschiedenen Methoden im Mentaltraining
Um Sport-Mentaltraining zu verstehen, sind die folgenden fünf Bereiche wichtig: Konzentration, Motivation, Zielsetzung, Regeneration und Emotionsregulation. Das Training kann Motivation und Selbstvertrauen stärken, aber auch beim Erlernen von Bewegungen von Vorteil sein.
Alexandra arbeitet oft mit einer Art Drehbuch im Sport-Mentaltraining. Sportler:innen gehen Bewegungsabläufe im Kopf durch. Viele Studien zeigen, dass dies effektiv ist, weil das Gehirn Realität und Vorstellung kaum unterscheidet. Man erstellt ein „Drehbuch“ des optimalen Ablaufs, hält Details fest, übt es trocken und wendet es dann in der Bewegung an. Die Zeit sollte realitätsnah sein, was laut Alexandra Übung erfordert, da Gedanken oft schneller sind als die tatsächliche Bewegung. Eine weitere Methode ist die Videoanalyse, bei der Bewegungen aufgenommen und anschließend besprochen werden.

Im Coaching geht es auch um Stressoren im Alltag. Alexandra nutzt hier einen besonderen Ansatz: Sie veranschaulicht Sport als Rollenwechsel. „Du bist Frau, Tochter, Freundin, Journalistin – verschiedene Rollen im Leben. Im Sport bist du dann beispielsweise Tänzerin.“ Dieses Bild wirkt wie eine kleine Geschichte: „Es ist Premiere, und du bist aufgeregt.“ Wichtig sei es, im Hier und Jetzt zu bleiben, betont sie. „Das Gehirn unterstützt du, indem du sagst: Wir haben ein Kostüm, es geht zur Vorstellung. Du ziehst dich um und überlegst, was du als Letztes anziehst – deine Tanzschuhe. Währenddessen schlüpfst du in die Rolle der Tänzerin. Alle anderen Rollen bleiben außen vor, und für die nächsten 90 Minuten bist du nur Tänzerin.“ Sobald du die Bühne, den Startblock oder das Fußballfeld betrittst, beginnt dein Auftritt. Jetzt zählst nur noch du in deiner Rolle als Sportler:in.
Insgesamt dauert ein Mentaltraining bei Alexandra 12 bis 16 Wochen. Das Gehirn benötigt diese Zeit, um neue Verästelungen zu bauen. Das heißt: Erst dann sieht man Ergebnisse. In der Regel kommen ihre Klient:innen einmal im Monat zu ihr.
Sportpsychologisches Coaching, Mentaltraining oder doch Therapie?

Das Mentaltraining basiere auf den Erkenntnissen der Verhaltenstherapie, gehe aber nicht von Krankheit aus, sondern erkläre die Hintergründe, führt Alexandra aus. Sie hebt dennoch hervor, dass die Emotionsregulation zu einem immer wichtigeren Thema werde. Manche Klient:innen sind bereits in Therapie und möchten ergänzend ein Sport-Mentaltraining machen.
Durch ihr Studium zur diplomierten Sport-Mentaltrainerin hatte Alexandra Berührungspunkte mit vielen geläufigen Krankheitsbildern im Sport wie beispielsweise Essstörungen oder Depressionen. Bei Emotionsregulation sei es wichtig zu unterscheiden, ob es sich um ein situatives Problem oder eine Angststörung handle. In solchen Grauzonen verweist sie Klient:innen an ihr Netzwerk von Psychotherapeut:innen, da sie keine Diagnosen stellen oder Heilversprechen geben darf.
Ein weiterer Unterschied zur Therapie sei der Blick nach vorn: Es gehe um die Zukunft, nicht um die Ursache des Problems. Alexandra veranschaulicht: „Im Coaching öffnest du nur Türen, die du jederzeit wieder schließen kannst.“
Vielen falle der Umgang mit der Angst schwer. Sie seien von Versagensängsten und der Angst, nicht zu genügen, geplagt. Hier könnten Visualisierungen helfen. Alexandra betont gehirnbezogene Aspekte: Wer die Funktionsweise des Gehirns verstehe, könne besser damit arbeiten. Sportler:innen fänden es oft angenehmer zu hören, dass ein Problem anatomische Ursachen hat und nicht nur an der inneren Haltung liegt. Beim Thema Depression beispielsweise sei vielen nicht bewusst, dass bestimmte Neurotransmitter nicht gebildet werden können. Da helfe es ihrer Ansicht nach nicht, sich zusammenzureißen.
Ist Mentaltraining für jeden geeignet?
Alexandra hebt besonders die Veränderungsmotivation hervor, die Klient:innen mitbringen sollten, auch wenn dies Teil ihres Jobs ist. Daher sei Mentaltraining bei ihren Klient:innen bisher erfolgreich gewesen. Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und dem Trainer oder der Trainerin sei wichtig. „Ich hatte es schon, dass Sportler:innen im Mentaltraining waren und am Ende mit ihrer Sportart aufgehört haben.“ Sie sehe das positiv, da so erkannt werde, ob der Sport wirklich zur Person passe. In wenigen Fällen hätten Eltern Druck ausgeübt, denn zu ihr kämen nicht nur Erwachsene. Wichtig sei der Spaß an der Sache, das Alter spiele dabei keine Rolle. Zwischen 10 und 60 Jahren war schon alles dabei.