Raumfahrt aus Darmstadt: Ein Besuch beim ESA Operations Centre

Federico steuert Satelliten für die European Space Agency – aus Darmstadt. Wie gelange ich nach dem Studium in eine internationale Organisation?

Als ich an der Tram-Haltestelle „Maria-Goeppert-Straße“ aussteige, ist weit und breit noch kein Gebäude zu sehen. Erst nach ein paar hundert Metern Fußweg entdecke ich ein großes Bürogelände und einige wehende Nationalflaggen. Das muss es sein. Auf den ersten Blick wirkt das Gelände zwar groß, aber sehr unscheinbar: ein altes Bürogebäude nach dem anderen. Als ich näher in Richtung Eingang laufe, kann ich ein großes Schild erkennen, auf dem in blauer Schrift „ESA“ (European Space Agency) steht. Hier, nicht weit vom Darmstädter Hauptbahnhof, hat das Operations Centre des europäischen Äquivalents zur NASA seinen Sitz. „Als ich den Campus das erste Mal betreten habe, hat sich das sofort sehr besonders angefühlt“, sagt Federico, der nur beim Vorname genannt werden möchte. „Es war schon sehr cool, das erste Mal durch die Tore mit dem großen ESA-Logo zu laufen. Das ist der Ort, wo die ESA-Missionen ins Leben gerufen werden.“

Von Livestreams zur Leitstelle

Profilfoto von Federico
Federico (27) aus Turin arbeitet seit September 2023 bei der ESA
Federico ist 27 Jahre alt und arbeitet als „Spacecraft Operations Engineer“ bei der ESA. Nach einem einjährigen Praktikum in Madrid ist das seine erste feste Stelle, direkt bei einer internationalen Organisation. „Ich verfolge zusammen mit einem Team immer eine Mission. Wir überwachen sie und treffen Entscheidungen über den Missionsablauf.“ Während Federico mich über das Gelände führt, kann ich seine Begeisterung für die Raumfahrt spüren. „Ich habe mir schon vor etwa zehn Jahren viele Livestreams von verschiedenen ESA-Missionen angeschaut“, erzählt er. „Das hat mich so fasziniert, dass ich selbst Luft- und Raumfahrttechnik studieren wollte.“ Das tat er dann in Italien, wo er aufgewachsen ist. „Ehrlich gesagt war mein Weg ziemlich klassisch. Ich habe mich nach dem Praktikum bei einem Satellitenhersteller in Madrid einfach auf eine freie Stelle bei der ESA beworben und wurde genommen.“ Keine Connections, keine Tipps, keine besonderen Einstiegstests. „Natürlich gibt es bei so einem interessanten Job viel Konkurrenz, aber alles in allem war die Bewerbung sehr standardmäßig“, sagt der Raumfahrtingenieur.
Bild vom Main Control Room im European Space Operations Center, es wird an vielen Computern gearbeitet
Im Main Control Room des ESOC werden die Starts der Missionen gesteuert, Photo: ©ESA

Rosetta: Meilenstein der Kometenforschung

Nach einem längeren Rundgang über das Gelände bleiben wir vor einem lebensgroßen Modell einer Weltraumsonde stehen. „Das ist Rosetta“, sagt der 27-jährige. Der besondere Meilenstein der Mission: Der Lander „Philae“ war die erste Sonde, die auf einer Kometenoberfläche aufgesetzt hat. „Rosetta war ein ziemlich großes Ding für die ESA“, sagt er. „Sowohl die Kometen als auch die mehreren Hunderttausend herumwandernden Gesteinsbrocken besitzen nahezu unbeeinflusstes Material aus der Frühzeit des Sonnensystems. Indem wir diese Körper untersuchten, konnten wir wertvolle Informationen zur Entwicklung unseres Planetensystems erfahren.“ Danach führt Federico mich in sein Büro. Auf mehreren Bildschirmen laufen komplexe Datenansichten. Anschließend gehen wir am Hauptkontrollraum vorbei. Von hier aus werden die Starts der ESA-Missionen gesteuert. „Hier sind meine bisher schönsten Erinnerungen an die Arbeit bei der ESA entstanden“, erzählt Federico. „Jeder Start ist ein riesiges Event. Es herrscht minutenlange Stille vom Moment, in dem die Rakete ihre Motoren startet, bis sie im All ist und sich der Satellit trennt. Wenn alles klappt, bricht riesiger Jubel aus. Das ist immer sehr emotional.“

Bild des Ingeniurmodells der "Rosetta"-Raumsonde
Ein Lebensgroßes Ingeniurmodell der „Rosetta“-Raumsonde steht auf dem ESOC-Gelände in Darmstadt. Solch ein Modell wird genutzt, um alle möglichen Tests am Boden vor dem Start durchführen zu können. Photo: ©ESA

Warum eigentlich Darmstadt?

Spätestens jetzt wird mir klar, welche internationale Bedeutung die ESA hat. Warum befindet sich ihr Kontrollzentrum ausgerechnet in einer vergleichsweise kleinen Stadt wie Darmstadt? „Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht genau“, sagt Federico schmunzelnd. „Aber ich mag Darmstadt sehr. Es ist auf den ersten Blick zwar nicht die schönste Stadt, aber man kann alles gut mit dem Fahrrad erreichen, was mir sehr gefällt. Und wenn man weiß wo man suchen muss, findet man echt ein paar schöne Ecken.“ Tatsächlich war die Entscheidung für Darmstadt kein Zufall: Bereits 1962 war hier die European Space Research Organisation angesiedelt, eine Vorgängerorganisation der ESA. Diese bestehende Infrastruktur und die Nähe zur technisch geprägten TU Darmstadt machten die Stadt zu einem idealen Standort für das neue Kontrollzentrum.

Kaffee, Kolleg:innen und Community

Nach weiteren Büros mit noch mehr Bildschirmen und Tabellen neigt sich die Führung dem Ende zu. In der Cafeteria holen wir uns Cappuccino. Federico trifft dort einige seiner Kolleg:innen. Er scheint sich mit vielen gut zu verstehen. „Ja, die Arbeitsatmosphäre ist super. Es ist eine ziemlich internationale Bubble, was ich sehr mag. Meine Freunde hier kommen aus ganz Europa. Wir machen auch in unserer Freizeit viel zusammen, manchmal organisiert die ESA Game Nights oder gemeinsame Ausflüge zum Weihnachtsmarkt.“ Ich habe den Eindruck, dass Federico mit seinem Job bei der ESA wirklich glücklich ist, auch das Umfeld stimmt. 

Zum Schluss möchte er anderen Luft- und Raumfahrttechnik-Studierenden noch einen Tipp mitgeben: „Manchmal ist es einfacher als man denkt, in so ein Unternehmen reinzukommen. Man muss es einfach versuchen. Die ESA bietet viele Einstiegsmöglichkeiten, etwa über Praktika. Wer in diesem Bereich arbeiten möchte, sollte sich nicht von großen Namen abschrecken lassen. Einfach bewerben. So habe ich es am Ende auch gemacht.“

Ich bin beeindruckt, wie selbstverständlich Federico seinen Weg gegangen ist und welches Potential in Darmstadt steckt. Wer in einer großen Branche arbeiten will, muss nicht zwangsläufig in eine Metropole ziehen – manchmal führt auch ein Fahrradweg durch Darmstadt direkt zu einem internationalen Unternehmen.

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