Wahlentscheidung unter Beobachtung: Darmstadt nach der vorläufigen AfD-Einstufung

In einer Stadt, die sich in ihrem Leitbild als weltoffen, tolerant und innovativ beschreibt, stellt sich jetzt die Frage: Was bedeutet diese Einstufung für Darmstadts politisches Klima? 

Protestwahl junger Menschen

Die Bundestagswahl 2025 hat in Darmstadt ein klares Bild gezeichnet: Die AfD erreichte laut Bundeswahlleiterin 13,6 Prozent der Zweitstimmen im Wahlkreis – ein Zuwachs von 7,1 Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl 2021. Besonders auffällig ist dabei die Zustimmung unter jungen Wähler:innen. Bundesweit entschieden sich rund 21 Prozent der unter 25-Jährigen für die AfD.

Themen wie Migration, Inflation, Bildung oder soziale Gerechtigkeit spielen dabei eine große Rolle. Laut einer Auswertung der Tagesschau vom Frühjahr 2024 berichteten viele junge Menschen, dass ihnen das Vertrauen in die etablierten Parteien fehle. Viele junge Erstwähler:innen gaben an, mit ihrer Stimme ein Zeichen zu setzen, auch aus Frust.

Politisches Statement mit rechtlicher Tragweite 

Die mögliche Einstufung der AfD verändert die Situation. Aus einem politischen Statement wird plötzlich die Unterstützung einer Partei, die staatlicherseits als potenziell verfassungsfeindlich betrachtet wird. Viele junge Wähler:innen werden dadurch unerwartet mit der Tragweite der eigenen Entscheidungen konfrontiert: Wofür steht meine Stimme tatsächlich? Und welche Verantwortung trage ich dafür? 

Was bedeutet die Einstufung rechtlich?

Trotz der zurückgenommenen öffentlichen Einstufung durch das BfV bleibt der Sachverhalt bestehen. Das Gutachten zur Bewertung liegt vor, die juristische Prüfung läuft. Aktuell bedeutet die Einstufung kein Verbot der AfD. Die Partei ist weiterhin legal. Ein Parteiverbot kann nur durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts kommen. Die Hürden dafür sind hoch. In Hessen wird die AfD bereits seit Ende 2023 vom Verfassungsschutz beobachtet, verboten ist sie aber nicht. Für junge Wähler:innen heißt das: Ihre Stimme zählt weiterhin.

AfD reicht Klage ein

Die AfD weist die Vorwürfe zurück. Am 5. Mai 2025 hat die Partei einen Eilantrag gegen die Einstufung beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Sie behauptet, der Verfassungsschutz handle politisch motiviert und wolle die Partei delegitimieren. Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla sprechen von einem „Missbrauch staatlicher Macht“. Die Stillhaltezusage des BfV wird von der Partei als Etappensieg bewertet. Sie erhofft sich eine vollständige Aufhebung der Einstufung.

Statement der Darmstädter AfD

Das Darmstädter AfD-Fraktionsmitglied Günter Zabel bezeichnet das Gutachten des Verfassungsschutzes auf unsere Anfrage als „politisch instrumentalisiert“. Er wirft den anderen Parteien vor, sich seit Jahren nicht ernsthaft mit der AfD auseinanderzusetzen. Trotzdem wendet er sich an junge Menschen: Sie sollten sich „ein eigenes Bild“ machen und sich online über die Arbeit der Fraktion informieren. Seine Warnung: Die Einstufung spalte die Gesellschaft.

Damit stellt sich die AfD-Fraktion nicht nur offen gegen die Bewertung durch die Verfassungsschützer, sondern auch gegen die Haltung nahezu aller demokratischen Fraktionen in Darmstadt. Diese sehen die Einstufung als notwendigen Schritt zum Schutz demokratischer Grundwerte.

Klarer Bruch von Darmstadts Politik 

Im „Darmstädter Echo” forderte Oberbürgermeister Hanno Benz alle demokratischen Parteien auf, sich klar gegen die AfD zu positionieren. Auch SPD, Grüne, FDP, CDU, Volt und Uffbasse schließen jede Zusammenarbeit mit der AfD aus. Die Grünen nannten die Einstufung einen „Meilenstein für die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie“. Auch wenn die AfD im Stadtparlament drei Sitze hat, soll sie laut Oberbürgermeister nicht mehr als normale politische Kraft behandelt werden.

Kommentar der „Da wird’s politisch”-Redaktion


„Für uns bedeutet das, dass politische Bildung wichtiger denn je wird. Die Auseinandersetzung mit demokratischen Grundwerten, mit Widerstand und Engagement muss stärker in den Alltag einziehen. In Schulen, Unis, Vereinen und Netzwerken braucht man offene Räume zur Diskussion.Der Umgang mit der AfD ist keine Frage von politischer Meinung mehr. Sondern eine Verfassungsfrage. Es geht um die Frage, ob man sich mit einer Partei solidarisiert, die von staatlicher Seite juristisch umstritten und hoch umkämpft ist. Das Urteil dazu steht noch aus. Aber die Verantwortung, wem man mit seiner Stimme politisch den Rücken stärkt, bleibt.”

Bild: Thomas Palmai

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